Servicewüste Deutsche Bahn
Meine Freundin sitzt gerade in einem Intercity. Ob er zur Abwechslung gerade mal fährt, weiß ich nicht. Es ist eher unwahrscheinlich. Nach fast drei Stunden Fahrtzeit hat sie von Köln aus in jedem Fall noch nicht einmal Koblenz erreicht. Die Verspätung beläuft sich inzwischen auf knapp 120 Minuten. Das Problem: Damit ist absehbar, dass auch der letzte Anschlusszug nach Konstanz nicht mehr erreicht werden kann. Meine Freundin wird also irgendwo stranden, falls es die Deutsche Bahn heute noch nach Stuttgart schafft vermutlich dort.
Absehbar war das Ganze eigentlich schon, als der Zug fast 60 Minuten in Bonn Hbf stand. Doch zu diesem Zeitpunkt hätte es noch eine Möglichkeit gegeben, die Anschlusszüge zu erreichen. Wenn man die 161-seitigen Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn auswendig gekannt hätte und gleichzeitig noch den kompletten Fahrplan im Kopf gehabt hätte, hätte man auch gewusst, dass man offenbar in einem solchen Fall trotz Zugbindung jeden anderen Zug ohne Aufpreis nehmen kann und dass dann eine Rückfahrt nach Köln und ein ICE über die Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Frankfurt die eindeutig schnellere Wahl gewesen wäre. Doch wenn man in einem Zug sitzt, dann weiß man das meistens nicht und ist stattdessen auf das angewiesen, was Schaffner, Zugbegleiter oder wie auch immer die gerade heißen, einem sagen. Und die sagen nichts. Kunden sind ja auch irgendwie was lästiges. Da müsste man sich ja Mühe machen, da müsste man ja in Einzelfällen nachrecherchieren, da müsste man sich ja Arbeit machen, die über das abklipsen von Fahrkarten hinausgeht. Da ist es natürlich einfacher, einfach gar nichts zu sagen.
Nun ist das Kind also schon in den Brunnen gefallen, die Anschlusszüge sind weg. Doch noch immer sind was-weiß-ich-wieviele in diesem Zug gefangen. Ohne Klimaanlage bei etwa 30 Grad. Doch ist bei der Bahn schon irgendjemand auf die Idee gekommen, bei fast 120 Minuten Verspätung mal eine Flasche Wasser oder sonst irgendein Getränk kostenlos anzubieten? Offensichtlich nicht. Sicherlich, dieser Zug fährt offenbar ohne BordBistro oder BordRestaurant durch die Gegend. Aber kann man von einem dienstleistenden Unternehmen nicht erwarten, dass vielleicht irgendjemand auf die Idee kommt, dass man an den Bahnhöfen, an denen man hält, vielleicht auch etwas Wasser mit an Bord nehmen könnte? Ist das wirklich so abwegig, wenn man seine zahlende Kundschaft schon 120 Minuten lang in brütender Hitze schwitzen lässt?
Wie auch immer: die Deutsche Bahn muss auch wegen Unfähigkeit eigener Mitarbeiter die Übernachungskosten - wo auch immer - bezahlen. Zumindest steht das in den Beförderungsbedingungen - ob sie es klaglos machen wird, wird sich noch herausstellen. Meine Freundin darf dann morgen vermutlich kurz nach 6 Uhr weiterfahren, damit sie noch halbwegs rechtzeitig ankommt, mit einer Verspätung von dann voraussichtlich etwa neun Stunden.
Und wie entschuldigt sich die Bahn dafür? Mit einer Entschädigung. Immerhin, die ist ebenfalls in den Beförderungsbedingungen festgeschrieben. 20 Prozent des halben Fahrpreises (bei Hin- und Rückfahrkarte, was hier der Fall ist). Mit anderen Worten: Es werden rund 6,50 Euro sein. Die gibt es aber nicht einfach so und schon gleich gar nicht in bar. Nein, wir sind ja beim Dienstleister Deutsche Bahn. Im Zug muss man eine Gutscheinkarte abholen. Die muss man dann allerdings am ServicePoint erst noch in einen Gutschein umtauschen - warum auch immer. Kann sich eigentlich nur um Schikane handeln, die zahlende Kundschaft Stunden zu spät ans Ziel gebracht zu haben, reicht offenbar nicht, man lässt sie auch noch Schlange stehen. Dazu kommt, dass der Gutschein dann nur in den Reisecentern der Deutschen Bahn eingelöst werden kann, nicht aber im Internet oder an Fahrkartenautomaten. Erneutes Schlangestehen ist damit vorprogrammiert. Wenn man jetzt noch weiß, dass vieles im persönlichen Verkauf teurer ist als im Internet oder am Automaten und dass das Dauerspezial beispielsweise 5 Euro mehr kostet, kann man sich leicht ausrechnen, dass die Entschädigung für eine 9-stündige Verspätung bei der Bahn effektiv ganze 1,50 Euro beträgt.
Soviel zum Service der Deutschen Bahn AG.
Nachtrag (22:54 Uhr):
Die im Zug noch geschürte Hoffnung, der letzte Zug nach Konstanz würde 25 Minuten lang auf Anschlussreisende warten, hat sich wie erwartet zerschlagen. Und was macht die Bahn? Sie wartet natürlich mit einer Service-Offensive am Bahnhof auf. Ein ganzes Empfangskomittee wartet. Halt nein, stimmt ja gar nicht. 2 Mitarbeiter in einem Service-Point, die eine Schlange von mindestens 10 Metern Länge bedienen soll. Darin: Zurecht bereits jetzt genervte Kunden. Aber es müssen sich ja jetzt nicht nur alle, die nicht mehr aus Stuttgart wegkommen dort anstellen, nein, auch alle anderen Fahrgäste, die ihre Gutscheinkarte in einen Gutschein umwandeln wollen (warum nicht gleich einen Gutschein ausgeben kann weiß wohl nur der Bürokratiebeauftragte der Deutschen Bahn AG) finden sich in der Warteschlange wieder.
Nachtrag 2 (23:22 Uhr):
Nach fast 30 Minuten steht fest: Die Bahn zahlt nun doch tatsächlich das Taxi für die rund 160 km lange Fahrt. Das wird teuer - ist aber wohl dennoch billigern als allen, die ihren Anschlusszug verpasst haben, eine Übernachtung zu bezahlen. Und es versöhnt wenigstens zum Schluss halbwegs.